Pilze, die Plastik fressen:
Eine Lösung für das globale Müllproblem?
Wohin mit unserem Plastikmüll? Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Menschen auf der ganzen Welt mit dieser Frage. Nach jahrelanger Suche nach einer Antwort auf das Plastikproblem haben Wissenschaftler nun etwas Erstaunliches entdeckt: Plastikfressende Pilze und Bakterien. In diesem Artikel erklären wir, welche Pilzart diese besonderen Fähigkeiten besitzt, welche Gattung der Pilze einen Teil des PET-Recyclings übernehmen kann und wieso Mikroplastik etwas mit Pilz-Infektionen zu tun haben könnte.
Das Plastik-Problem ist komplex
In diesem Artikel:
Seit seiner Entdeckung in den 1950er Jahren hat sich die Welt zunehmend auf Kunststoff verlassen. Heutzutage ist ein Leben ohne dieses vielseitige Material kaum möglich, denn eine Vielzahl von Kunststoffen finden Verwendung in Verpackungsmaterialien, als Baustoffe oder der Textilherstellung.
Polyethylenterephthalat (PET) ist mit fast 70 Millionen Tonnen der am weitesten verbreitete Polyesterkunststoff. PET in der Lebensmittelindustrie verwendet, etwa für die Herstellung von Trinkflaschen, Folien und Lebensmittelverpackungen. Außerdem kommen die Kunststoffe für die Produktion von reißfesten, witterungsbeständigen und knitterfreien Textilfasern zum Einsatz. Trotz seiner vielen Vorteile verursacht das Material auch schwerwiegende Probleme- vor allem beim Thema Müll. Denn weltweit werden jährlich rund 359 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert, von denen geschätzt 150-200 Millionen Tonnen als Abfall auf Deponien oder in der Umwelt landen.
Bislang wird Plastik entweder recycelt, verbrannt oder landet auf einer Müllhalde. Keine dieser Entsorgungsmethoden ist perfekt:
- Beim Recycling ist das Problem, dass der Kunststoff gereinigt und sortiert werden muss, was kostspielig und oft nicht möglich ist.
- Die Verbrennung von Plastikmüll hat zur Folge, dass schädliche Giftstoffe in die Atmosphäre freigesetzt und es bleibt eine Menge biologisch nicht abbaubarer Asche zurück.
- Landet das Plastik in Müllhalden oder gar in der Umwelt, dauert es Hunderte von Jahren bis der Müll abgebaut ist. Vorher zerfällt und gelangt als Mikroplastik in winzigen Teilchen in die Luft, das Wasser und den Boden.
Aus diesem Grund widmen immer mehr Wissenschaftler ihre Forschungsarbeit der Suche nach Alternativen zur Verwertung von Plastik. Eine mögliche Lösung für das Problem könnte in besonderen Pilzen stecken.
Plastikfressende Pilze, Bakterien und andere Organismen
Pestalotiopsis microspora
Unter Leitung von Professor Scott Strobel entdeckten Wissenschaftler der Universität Yale bei ihrer Forschungsarbeit in Ecuador im Jahr 2011 erstmals, dass es eine Pilzart gibt, die Kunststoff zersetzen kann. Diese Neuigkeit machte sofort Schlagzeilen, denn die Entdeckung der Forscher – ein Pilz namens Pestalotiopsis microspora- kann sich von Plastik ernähren. Anders als Pflanzen kommen viele Pilze, im Dunkeln und unter sauerstoffarmen Bedingungen aus.
In den Pilzgeflechten der Pestalotiopsis microspora wird ein Enzym gebildet, das Polyurethan (PU/PUR) spalten kann. Der Kunststoff wird in der Industrie in verschiedenen Produkten verarbeitet, zum Beispiel in Schaumstoff-Isolierungen, Küchenschwämmen, Windeln oder als Hartschaum z.B. in Sportschuhen. Mithilfe des Pilz-Enzyms kann die Zersetzung von Polyurethan von Jahren bis Jahrzehnten auf einige Tage oder Wochen verkürzt werden.
Obwohl dieser Bereich der Forschung im Kampf gegen das Plastikproblem von hoher Wichtigkeit ist, geht die Forschungsarbeit nur langsam voran: Denn nach einem Rechtsstreit zwischen Ecuador und der USA um die Rechte an dem Pilz, darf die USA inzwischen nur noch ihre grundlegenden Experimente an den Pilzen durchführen.
Aspergillus Tubingensis
Ein weiterer Pilz kann Kunststoff wie PET und Polyurethan (PU/ PUR) innerhalb einiger Wochen zersetzen. Die außergewühliche Fähigkeit des Aspergillus tubingensis wurde 2017 auf einer Müllhalde in Pakistan entdeckt. Auch er bildet Enzyme, die zum Beispiel Bauschaum, Matratzen, Schuhsohlen oder Klebstoffe zerteilen. Die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen China und Pakistan bewiesen erstmals, dass der Pilz – der im deutschen Tübinger Gießkannenschimmel genannt wird – Bindungen zwischen den verschiedenen Polymeren in einigen Wochen lösen kann.
Plastikfressende Pilze auch bei „Jugend forscht“
Der hessische Schüler Christos Assiklaris hat 2019 in seinem Forschungsprojektdiese Fähigkeit bei zwei weiteren Pilzarten nachgewiesen. Die beiden Pilze names Isaria fumosorosea und Metarhizium guizhouensekönnen Kunststoff zersetzen und werden schon heute in der Landwirtschaft zur natürlichen Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Mit seinem Versuchsaufbau zeigte der Schüler, dass innerhalb von drei Tagen 87% des Kunststoffs von den Pilzen abgebaut werden kann. Mit seiner Forschung nahm Christos Assiklaris 2019 am landesweiten Jugend Forscht Wettbewerb teil und wurde für seine Arbeit mit dem den Sonderpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ausgezeichnet.
Der Schüler Christos Assiklaris hofft, dass seine Forschung in Zukunft auch zur Beseitigung von Mikroplastik in Acker und Wald-Böden eingesetzt werden kann. Aber einige Experten warnen die Ergebnisse des Projekts nicht voreilig zu bewerten. Projektmentor Dr. Dietrich Stephan im Labor des Julius Kühn-Institutes, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Darmstadt, erklärt dass das Thema zwar immens wichtig sei, aber nach heutigem Stand noch weitere Untersuchung notwendig ist, um festzustellen „wie sich das Ganze dann nachher im Feld benimmt“. Denn bisher seien die Ergebnisse nur auf experimentelle Forschung im Labor basiert. Dass Pilze und Myzelien im Alltag der Menschen gegen Plastikmüll zum Einsatz kommen, liegt laut dem Wissenschaftler noch in weiter Zukunft.
Ein mysteriöser Organismus: Folgen der Pilze unbekannt
Der Großteil der Pilzarten auf der Erde ist noch unbekannt. Nach Einschätzung der Wissenschaftler dürfte es insgesamt zwischen 2,2 und 3,8 Millionen Arten geben. Davon haben Menschen erst 120.000 Pilzarten beschrieben – ungefähr zehn Prozent. Dafür dass Pilze das zweitgrößte Organismenreich nach den Tieren bilden, wissen wir über ihre Struktur und Fähigkeiten so gut wie nichts. Bisher weiß zu diesem Thema man nur, dass es ganz bestimmte Pilze gibt, die die Fähigkeit besitzen, Kunststoffe zu zerkleinern, bis sie nicht mehr sichtbar sind. Welche Enzyme den Kunststoff verdauen und wie der Organismus die Aufnahme von Kunststoff genau macht, ist jedoch noch nicht bekannt.
Recycling durch Plastikfressende Myzelien und Bakterien
Neben Pilzen untersuchen Forscher auch andere Organismen, die das Potenzial haben, Plastik und andere Kunststoffe zu zersetzen. So haben Forscher der University of Portsmouth zu diesem Zweck rund 100.000 unterschiedliche Mikroorganismen unter die Lupe genommen. Dabei haben sie ein weiteres Enzym entdeckt, das PET in wenigen Stunden zersetzt und eine profitable Herstellung neuer Plastikflaschen ermöglicht. Die im Fachmagazin „Nature“ vorgestellten Bakterien-Enzyme können eine Tonne alte Plastikflaschen innerhalb von Zehn Stunden zu 90 Prozent in seine Bestandteile zersetzen.
Geldgeber für das Forschungsprojekt war das französische Unternehmen Carbios, dass sich seit Jahren intensiv mit der enzymatischen Zersetzung von PET-Müll auseinander setzt. Schon jetzt arbeitet das Unternehmen daran das Recycling-Verfahren profitabel und scalierbar zu gestalten. Laut dem stellvertretenden Carbios-Geschäftsführer Martin Stephan ist Enzym-Recycling nicht nur gut für die Umwelt sondern auch deutlich billiger: So belaufen sich die Kosten für das Enzym auf nur vier Prozent der Ausgaben für das notwendige Rohöl, das in herkömmlichen Verfahren nötig ist.
Pilze und ein neues Plastikproblem: Pilze auf Mikroplastik
Letztes Jahr veröffentlichten die Forscher um Gerasimos Gkoutselis von der Universität Bayreuth und Stephan Rohrbach von der Leibniz Universität Hannover eine neue Studie und zeigten, dass Pilze beim Thema Mikroplastik auch eine Bedrohung darstellen können. Für Ihre Untersuchung hatten die Forscher Bodenproben an fünf Orten in der kenianischen Stadt Siaya genommen: an zwei Mülldeponien, einem Marktplatz, an einer Straße sowie in einem Innenhof.
Die Forscher haben das dort gefundene Mikroplastik in einem aufwendigen Verfahren aus den Proben gefiltert und entdecken dabei Mikroorganismen, die sich als Biofilm auf den Plastikteilchen ansiedeln. Das besorginserregende an diesen Pilzgeflechten? Die Lebensgemeinschaften von Pilzen und Myzelien (das Netzwerk, dass einzelne Fruchtkörper verbindet) auf dem Mikroplastik unterscheiden sich stark von den Pilz-Gemeinschaften im Boden. Zudem wachsen und vermehren sich die Pilze auch auf dem Plastik und sind meist pathogene Arten – krankheitserregende Pilze, wie etwa Schwärze- und Hefepilze. „Schwärzepilze stehen im Verdacht, dass sie Allergien hervorrufen können, dass sie unter starker Exposition und den richtigen Bedingungen tatsächlich auch zu Infektionen an verschiedenen Teilen des menschlichen Körpers beitragen können“ so Gkoutselis.
Zwar stammten die untersuchten Proben aus Böden in Afrika, aber der Forscher geht davon aus, dass Mikroplastik im Boden global flächendeckend von solchen Pilzen besiedelt ist. Da Mikroplastik auf der ganzen Welt ein Problem ist, könnten die auf dem Plastik lebenden Pilze das Gleichgewicht unserer Ökosysteme und die menschliche Gesundheit bedrohen. Die vollen Auswirkungen von Mikroplastik und den pathogenen Pilzen, die darauf leben, müssen deshalb dringend weiter erforscht werden.🌱
Quellen:
Sehroon Khan, Sadia Nadir, Zia Ullah Shah, Aamer Ali Shah, Samantha C. Karunarathna: Biodegradation of polyester polyurethane by Aspergillus tubingensis. In: Environmental Pollution. Band 225, S. 469–480, doi:10.1016/j.envpol.2017.03.012.
Gkoutselis, G., Rohrbach, S., Harjes, J. et al. Microplastics accumulate fungal pathogens in terrestrial ecosystems. Sci Rep 11, 13214 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-92405-7
https://yalealumnimagazine.org/articles/3303-a-fungus-that-eats-polyurethane
https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/unbekannte-welt-der-pilze-257
Bildquellen
- Pilze, die Plastik fressen: iStock/OliverSchulz
- Storch auf einer Mülldeponie: iStockvovashevchuk/
- Forschung an Plastikfressenden Pilzen: iStock/gorodenkoff
- Myzeliennetz: iStock/empire331
- verschiedene Arten von Mikroplastik: iStock/SvetlozarHristov